Lampen am Stiel
Die Ehre des Lichts leidet oft an unzureichenden Lampen.
Das Licht reicht zwar dorthin, wo es landen soll (oft leider nicht einmal
genau dort), aber seine Quelle, die Sache selbst, hat oft keine schöne
Form. Sie ist der Kopf des Lichts, aber sie hat keine Seele. Die Seele
ist das, was man nicht sieht, damit man etwas sieht. Damit etwas drinnen
ist, das leuchtet (aber man weiß nicht, was das ist, das da so leuchtet.
Es ist die Birne, ja, klar, aber, ob die nun klar ist oder nicht, sie
muß ja, wie jede Quelle, in etwas gefaßt werden, damit man was davon hat,
vom Licht, das da fließt), frei, gut und dorthin, wo man es braucht und
will. Die Seele des Lichts, die Lampe, steuert den freien Willen,
was man lesen will und, vor allem, daß man es auch lesen kann. Es gibt
immer zehntausende andere Gegenstände, die schöner sind als der, den man
grade im Auge hat (und der Balken in dem Auge des Nächsten soll es nicht
gerade sein, sondern immer genau das, was man ins eigene Auge fassen und
auch behalten will, also das, worin das eigene Licht gefaßt werden soll,
damit man damit werfen kann, nein, damit es auf einen geworfen werden
kann, nein, damit es überhaupt geworfen werden kann!). Die Freundlichkeit
der großen und der kleinen Bambuslampe von Carl Auböck ist so heiter und
friedlich wie das Licht selbst, das aus ihnen kommt. Wie das Licht, das
einem manchmal von jemandem kommt, der einem begegnet. Sie können sich
sogar, mit relativ wenig Aufwand, verbeugen, und zwar in vier Richtungen,
je nachdem, wohin die nette Birne strahlen soll. Als ob die Lampe jedesmal
jemanden andren anlächelte. Sie sucht sich den Freund nicht aus, man richtet
sie auf ihn, und sie – die Lampe - ist bereit, jeden anzufreunden, den
man ihr, durch einen Kipp auf den Vierfuß, auf dem sie steht, zuweist.
Und hat man keine Freunde, dann hat man immer noch diese Lampe mit dem
lustigen Hut und dem wunderbaren Bambusstiel (reine Natur! Bambus – ein
Zitat, aber woher nehmen? Wo steht dieses Zitat? Schon die berühmte Gucci-Handtasche
hatte und hat immer noch einen Bambusgriff, an dem ihr sie erkennen sollt.
Ist es die Unregelmäßigkeit der Natur, die dem Material so sehr anhaftet,
daß man ihm seine Natur eben: ansieht? Ist es die Art und Weise, wie Natur
überhaupt erfahren werden kann in einem „ursprünglichen“ Sinn, der derzeit
noch gesucht wird, und zwar schon seit langem? Soll da der Natur eine
theoretische Erfahrung übergestülpt werden, aus Angst vor wachsender,
vordringender Unnatur, wenn man der „wahren“ Natur ihren Lauf ließe, in
einem fetischistischen Vorgang, bei dem Lebendiges in tote Materie eingefügt
wird wie eine Reliquie, die, als ehemals Lebendiges, dem Stein in der
Kirche eingefügt ist? Soll in diesem kleinen Stück Bambus – der Gucci-Tasche
oder dem etwas größeren, längeren des Lampenstiels – etwas gezeigt werden,
das versucht, über die Natur hinauszukommen, und zwar zu einer neuen Art
Einstellung von Natur, einer personalistischeren, benutzerfreundlichen,
vielleicht sogar kalibrierenden? Die unregelmäßig wulstigen Wuchs-Einteilungen
des Bambusstabs oder auch die Jahresringe von Carl Auböcks bekanntem Baumsegment-Tischchen
sind ja auch eine Art Maß, aber keins, nach dem sich jemand richten müßte
oder könnte. Sie sind Maß nur für sich selbst, für das eigene Wachsen.
Solange die Pflanze nicht abgeschnitten, abgehackt wird, wächst sie. Sobald
sie aber zum Gegenstand wird, wird die Erfahrungsart, mit der man sich
ihr nähert, eine theoretische und die Gegenständlichkeit, die durch Naturtötung
entstanden ist, genauso eine theoretische, ästhetische, die die Natur
wie eine Gucci-Handtasche noch mit sich schleppt, die Natur zwar einerseits
bleibt, andrerseits aber trotzdem nicht mehr ist. Diese Natur ist ein
Handtaschengriff und die dort ein Lampenstiel. Dieser Handtaschengriff,
dieser Lampenstiel sind echt Natur! Wird Erfahrung dann also quasi reliquienhaft
eingefügt und bestimmt damit den Charakter des Gegenständlichen, des fraglichen
Gegenstands? Wird Beherrschung der Natur suggeriert, indem man zeigt,
daß das Über die Natur Hinausgehen nur durch Natur möglich ist, aber durch
einen intentionalen Akt der Aneignung bzw. des Stehlens? Die Lampe steht
im Raum, die Tasche hängt am Arm. Es gehört uns. Was auch immer. Egal.
Wir haben das jedenfalls nur ganz in Echt und in ganz Echt! Das gehört
sich auch für einen Stiel, das kann jede schlichte Pflanze von so einem
verlangen, sonst ist da nichts mehr zu tragen, denn die Pflanze, die Blüte
kann ja nicht in der Luft hängen, und der Pilzhut auch nicht, es muß alles,
was lebt, einen Halt haben oder sollte doch zumindest mindestens einen
haben, aber wieso muß es ein Halt sein, der aus der Natur genommen wurde,
Natur darstellen, aber Natur nicht mehr sein soll, indem er aus der Natur,
aber doch nicht mehr ganz „reine“ Natur ist, sondern in der Fragmentierung
von Natur, in ihrer Vergegenständlichung erst recht wieder genau das geworden
ist, unschuldig, also Natur, die Unschuld schlechthin? Und ist nicht jede
Naturbetrachtung eine Vergegenständlichung, ein Akt, durch den alles bestimmbar
werden soll?), der ihn oben, am oberen Ende, trägt, den Hut, in Rot oder
in Weiß, je nachdem, welcher einem besser paßt, was noch nicht heißt,
daß der einem dann auch am besten steht, egal, die Lampe steht, da fährt
der Autobus drüber, und ich hab sie sehr gern, bin kaum je in meinem
Leben einer heitereren Lampe begegnet, keiner, die selbst so gestrahlt
hätte wie diese. In reinster Unschuld. 31.10.2005 zur Startseite von www.elfriedejelinek.com |