Für meine Kollegin Asli Erdogan

 

Ich zitiere hier aus der Süddeutschen Zeitung, ich hoffe, der ist es recht:

„Als mir klar wurde, dass ich auf Anordnung von ganz oben verhaftet werden sollte, war meine Angst wie weggeblasen. In diesem Moment begriff ich, dass ich nichts verbrochen hatte.“ So beschreibt die Schriftstellerin Asli Erdogan am fünften Tag ihrer Einzelhaft ihre Gefühle. Die Zeitung Cumhuriyet hatte ihrem Anwalt Fragen mitgegeben. Diese Antwort gibt jedoch nicht wieder, wie es ihr körperlich geht. Sie hat große Gesundheitsprobleme.

„Fünf Tage lang wurde mir meine Medizin verwehrt. Ich habe Diabetes, muss eine strenge Diät einhalten und kann nur Joghurt essen. Ich durfte nicht an die frische Luft“, so Asli: „Ich werde so misshandelt, dass ich dauerhafte körperliche Schäden davontragen werde. Mein Bett war voller Urin. Wäre ich nicht aus voller Überzeugung hartnäckig, könnte ich das hier nicht überleben.“

Als weltweit bekannte Schriftstellerin, Autorin und Beraterin der kürzlich geschlossenen prokurdischen Zeitung Özgür Gündem wurden Asli Terror-Propaganda vorgeworfen, außerdem Anstiftung zur Gewalt und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Sie ist laut P24, der Plattform für unabhängigen Journalismus, eine von 93 Journalisten und Journalistinnen, die in türkischen Gefängnissen sitzen. Diese Zahl wird vermutlich noch steigen und beschert der Türkei weltweit die höchsten Inhaftierungsziffern.

Ich weiß, was soll das bedeuten, ich bin keine deutsche Loreley, die es nicht weiß und dabei ihr Haar kämmt, was soll sie schon machen, wenn sie weiß, daß sie es nicht weiß, aber wissen könnte. Da tauchen nach einem Putsch Listen auf, die es auch wissen, die schon lange vorbereitet gewesen sein müssen, vom noch tieferen Staat, gegen den die Stasi ein Dreck war.

Meine Kollegin Asli Erdogan wird in einem türkischen Gefängnis gefoltert. Sie wird sich nie wieder davon erholen, wenn sie es überhaupt überlebt. Sie wacht in einem See aus Urin in ihrem Bett auf. Der rechte Führer in Österreich scheint auch von Urin besessen zu sein, aber anders, in froher Erwartung sozusagen. Er propagiert Abschiebungen von abgewiesenen Asylanten mit Militärflugzeugen, wo sie sich "anurinieren" können, soviel sie wollen, es würde ihnen nichts nützen, sie müßten halt weg, irgendwie kriegen wir die schon raus, ganz sicher, versprechen wir der Bevölkerung, die nur darauf gewartet hat, daß sie einer für etwas Kleingeld versichert. Diese Entwürdigung scheint aus einer Besessenheit zu kommen, daß Menschen ins Vakuum eines Seins gesogen werden (a victim in a vacuum, nennt es Thomas Pynchon, was Besseres fällt mir nicht ein), in dem sie verschwinden sollen, egal, wie, sie werden vom Nichts ins Nichts gerissen, das ein selbsternannter, nein, ein gewählter rechter Parteiführer oder ein Diktator, ein zurecht gewählter, einer, den sie sich zurechtgewählt haben, erzeugt hat. Ja, da treffen sich die beiden (unser Führer hat noch keine Macht, er steht noch im Vorzimmer und klopft an mehrere Türen, eine wird schon aufgehen für ihn, er wartet schließlich schon so lang, er wird sich noch bei der Praxis-Hilfe beschweren, wenn das nicht so weitergeht, wenn nichts weitergeht), auch wenn einer der Gegner des andren sein mag, da trifft unser Parteiführer also den fremden Herrscher, der im Namen der Demokratie handelt, ja, genau, da treffen sie sich, mein Gott, was ist dieses Wort schon mißbraucht worden, nein, nicht Gott, das andre Wort, das gibts ja nicht, ich überblick das alles nicht mehr! Kann denn, hier bitte das Wort einsetzen: Demokratie, kann die denn inzwischen schon ALLES sein?, nicht, was der Fall ist, sondern was möglichst viele fällt, damit sie dann weg sind und die Demokratie, der Einfachheit halber, unter weniger Menschen ihre Auswahl treffen kann. Ist Demokratie die Herrschaft derer, die übriggeblieben sind, weil sie allein es so bestimmt haben? Weil sie sich selbst ausgenommen haben? Der Körper des Herrschers: ausgenommen wie ein totes Tier, leer, aber ganz geblieben, zur Gänze ganz geblieben, die Gänze selbst geblieben, denn jetzt hat er ja Platz, sich auszubreiten, sich aufzublähen, wer hindert ihn daran? Als Herr des Ausnahmezustands wird er an nichts gehindert, denn wer sollte das tun? Alle, die er bestimmt, verfallen, aber sie verfallen nicht an die Welt, sie verfallen einfach, und indem er sie verfallen läßt, ist der Herrscher ein Beweis gegen das Dasein, gegen die Existenz selbst. Wenn nur er und seine Getreuesten, seine Kreaturen, leben dürfen, dann ist er ein Beweis gegen die Möglichkeiten des Seins. Lassen wir doch das Volk direkt entscheiden, dann verschwinden diese unmöglichen Subjekte ganz von selber! Aber das Leben, ihre nackte Existenz, wie es so schön heißt, denn die hat keine Verschleierung, um unsichtbar zu werden, die wird ihnen nicht mehr erlaubt, von einer tiefen Stasi nicht mehr erlaubt. Und so wird der Sultan zum Beweis für nichts, denn wenn er anderen so willkürlich wie bisher ihr Lebensrecht in Freiheit abspricht, bleibt er selbst ein leeres Ich, von dem sich alles wegbewegt, bis es nur mehr ihn gibt und sonst keinen. Ein magnetischer Punkt, ein Magnetfeld, das alles Metallische magnetisiert, sodaß es sich, gemäß seiner Magnetisierung, in Kraftlinien anordnet, (alle Teilnehmer melden sich bitte unverzüglich dort, wo ich es sage, und dann dort drüben, wo ich es auch sage, um sich für eine ordentliche Demo anzuordnen!). Ohne diese magnetische Anziehung des Königs würden sie ins Nichts fallen, das alles abstößt, wegspritzen läßt, was nicht der Herrscher selber ist.

Diese Menschen, die er verfolgt, die gesamte Intelligenz seines Landes (wie es derzeit aussieht), soll verfallen, sie soll an den Herrscher fallen, der mit ihnen machen kann, was er will, denn ihre Existenz ist nicht mehr erwünscht, so einfach ist das. Die Noch-nicht-Verurteilten, die auch je schon verurteilt waren, sie standen ja auf einer Liste, der Herrscher hat es ihnen bislang nur noch nicht gesagt, sollen in ihren eigenen Körperausscheidungen ertrinken. Ein stiller Tod, ja, das wäre das beste. Die Opfer können nicht mehr in der Welt sein, weil es ihnen nicht mehr gestattet ist. Das ist doch einfach, oder, das ist nicht einfach kompliziert, es ist nur einfach. Wir werfen diese Menschen jetzt weg, erhebt jemand Einwand dagegen? Nein, Wände um sie herum und aus. Wen man nicht mehr sieht, den gibt es nicht.

Ja, die Gefangenen müssen verfallen, weil sie leben wollen, das ist Grund genug für einen absoluten Herrscher, der sich aus der Demokratie geboren nennt. Aus dem Arsch eines Putsches ist er gezogen worden, und er hat sich durchgesetzt. Dafür wird von fahnenschwenkenden Massen auch in diesem Land gekämpft. Wieso verteidigt denn niemand die Demokratie so wie wir, mit uns?, das schreien sie bei jeder Gelegenheit heraus, ja, sind wir denn die einzigen, die das tun? In anderen Ländern würden sich die Menschen uns sofort anschließen! Da müßten doch alle aufstehen, sagte ein Mann des Herrschers, nicht einmal seine rechte Hand, irgendein unwichtiges Glied, das sich jetzt wichtig fühlen darf, unlängst in einer deutschen Talk Show. Der Herrscher nimmt sich alle Möglichkeiten und verwirft andre, die damit auch schon ihre Möglichkeiten verwirkt haben. Die Verdammten stürzen, müssen stürzen, damit der Sultan, ihr Beherrscher, sich das Bewußtsein erhalten kann, alles erreichen zu können, was er will. Und mit diesem Bewußtsein hat er auch schon alles erreicht, er muß nicht einmal mehr befehlen. Hindernisse, und letztlich sind das alle anderen Menschen außer ihm, werden hineingerissen in einen tödlichen Strudel, der den Sultan nicht mehr interessiert als ein Wirbel auf seinem Haupt, falls er einen hat, sonst muß er einen Wirbel machen, wo auch immer, der alles einsaugt, was noch da ist. Nichts bleibt übrig, denn was bleibt einem Alleinherrscher, der bestimmt, wer leben darf und wer nicht (derzeit bestimmt er noch, wer frei leben darf und wer hinter Mauern und Gitter muß, aber wartet nur ein Weilchen, Fortsetzung folgt, es geht weiter, indem die alle untergehen werden, manche von ihnen muß man gar nicht mehr umbringen, die sterben sowieso, weil sie so nicht mehr sein können).



Asli Erdogan

16.8.2016 / 20.10.2016



Für meine Kollegin Asli Erdogan © 2016 Elfriede Jelinek

 

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