Gedanken zur Fotokunst Nobuyoshi Arakis

Es wird gezeigt vom Fotografen seine Frau. Aber indem er sie zeigt, viele Male, in allen erdenklichen Situationen, bei allen erdenklichen Tätigkeiten, auch ruhend natürlich, entsteht, aus dieser so engen Bindung zwischen Zeiger und Gezeigtem, ein Anspruch des Zeigers auf sein Objekt, der zurückgewiesen wird, nicht nur durch den Tod der Frau, dieses gezeigten, gebannten (verbannten) Objekts, sondern auch dadurch, daß der Ruf nach dem Gegenstand, dieser lauteste, nicht immer lautere, Ruf des Künstlers, seinen Gegenstand über das gerade erst in die Immobilität des Bildes gespannte Ziel hinausschießt und damit jedes Mal wieder ins Leere hinein wirft. Dieser Schrei nach Dasein und gleichzeitig ins Leben hinein "Wegräumen", auch: den Weg räumen, damit das von ihm so besessen geliebte Objekt wieder aus dem Nichts daherkommen möge, wieder da sein solle, kann sich nicht stauen an diesen Fotos der zuerst noch gesunden, dann, sukzessive, immer todesnäheren Frau (bis sie schließlich, auf einem häufig abgebildeten Foto, von Blumen umgeben im Sarg ruht, das Foto ihrer Katze neben dem Gesicht), es kann nicht höher steigen, über die Objektivität des Objektivs hinaus, wie Wasser an einer Staumauer, sondern der Schrei wird wieder zurückgeschmettert, ähnlich einem zu hart geschlagenen Ball, auf den Betrachter, der den Ruf vergebens festzuhalten sucht. Doch vielleicht ist gerade die Immobilisierung des Objekts in der Fotografie nein, nicht ein Ins Leben wieder Zurückholen, sondern ein Aufgehobensein, aber eins, das nicht auf den Fotografen zurückwirkt, ihm einen Zuwachs, eine Gratifikation bescheren würde, da er es manisch zu bannen, zu beleben (aber letztlich zu töten?) sucht, sondern, das mag das eigentlich Japanische an den Fotografien Arakis sein, eins, das die Stille dieses Gebanntseins durchdringt. Wie ein Ton im Ultraschallbereich, den gewisse Tiere hören können, doch Menschen können es nicht. Der Ton ist da, doch man hört ihn eben nicht. Es ist schwer zu sagen, aber ich denke:



1971, July 7, Gelatin silver print

Nobuyoshi Araki, "1971, July 7"
Gelatin silver print, 43,2 x 35,4 cm


So wie ein Telefonhörer in sich vielleicht alles, was je in ihn hineingesprochen wurde, immer noch in irgendeiner Form enthalten mag, so halten diese Fotos der toten Frau alles, was diese je gedacht, gemacht, verrichtet hat, in sich fest, aber in einer Art Implosion, nur bezogen auf das dargebotene Objekt. Der Fotograf/Ehemann kann seine Frau, und je manischer, heftiger er auf sie buchstäblich eindringt, umso weniger für sich selber retten; die Stille dieser Bilder wird vielleicht umso lauter, aber sie bleibt doch: Stille. Nicht für die Abgebildete allerdings. Nur für den Betrachter/Schöpfer - dieser Schöpfer ist wohl einer, der, indem er schöpft, nicht bloß etwas schaffen will, sondern das, was er da hervorgebracht hat, auch, und sogar in erster Linie, selber betrachten, für sich behalten möchte. Der Künstler als sein eigener Voyeur, ein Fetischist seines für lange Zeit einzig zeigenswerten Gegenstands. Doch sein fotografiertes Objekt kommt von weither und ist inzwischen ins Weiteste gegangen, das es gibt, in den Tod. Und aus dieser weitesten Weite kommen das Kleid, der Bikini, die Schürze zur Hausarbeit, der Kimono, die Badehaube, der Pulli, der Rock, die Strumpfhose zurück, und sie werden getragen von einer, die, indem sie ein für allemal fort ist, sich selbst genügt, genügen muß. Sie ist nicht gebannt, nicht verbannt, sie ist da und enthält alles, was sie je war. Vielleicht sollte man nicht sagen ge- oder verbannt, sondern: die Frau wurde gestellt aus einem Flüchten heraus, und sie darf, da sie diesen Gestellungsbefehl erhalten hat, alles behalten, was sie je besessen hat. Sie darf alles mitnehmen. Es mögen diese Gegenstände, diese Stöckelschuhe, Eßstäbchen, Bücher, Bierflaschen, bis, zuletzt, die Infusionsschläuche und -flaschen am Sterbelager, das Gegenständliche, eine Vergegenständlichung immer wieder betonen, ja beschwören, damit die Tote in ihnen dableiben kann, und sie bleibt ja auch da, doch um ihretwillen, um ihrer selbst willen, nicht um des Künstlers Mutwillen, der sie doch am besten von allen gekannt hat. Doch auch er bekommt keinen Wink mehr von ihr, womit er sie jetzt noch festhalten könnte. Aber gerade für ihn, der die Berührung und das Betrachten des Wirklichen in sich gespeichert hat, kann sie in diesen Bildern nicht sein und nicht bleiben. Araki trägt sich seine verstorbene Frau immer wieder entgegen, doch sie muß immer gleich fern bleiben, und darin genügt sie sich, aber gewiß nicht ihm. Jede ihrer Gesten, die sie auf den Fotos macht, trägt sie zu sich selbst zurück, nicht zu ihm hin. Denn in jeder dieser "stills", in jeder dieser Stillen, wird die Frau gestillt und mit sich selbst gesättigt, und derjenige, der sie festgestellt hat, geht immer leer aus. Der einzige Gegensatz zu dem, was man sieht, ist das, was man nicht sieht. Das Abwesende. Arakis Frau. Fotografie aber ist etwas, das man sieht, sonst gäbe es sie nicht. Es gibt in ihr aber auch kein Darüber-Hinaus. In Heideggers fiktivem Dialog "aus einem Gespräch von der Sprache", zwischen einem Japaner und einem Fragenden, wundert sich der japanische Gesprächspartner, wie Europäer das Nichts nihilistisch deuten können. Für Japaner, sagt er, sei die Leere der höchste Name für das, was die Europäer mit dem Wort "Sein" bezeichnen. Für die Japaner enthält offenbar das Nichts alles andere zu allem An- und Abwesenden hinzu. Die Besessenheit Arakis von seiner zuerst lebenden, dann sterbenden, dann toten Frau mag getröstet (auch ein "Stillen", des Schmerzes), besänftigt werden durch diese nie endenwollende Dokumentation jeder ihrer Gesten, Blicke, Tätigkeiten, doch, auch wenn jedes dieser Fotos alles, was diese Frau ausgemacht hat, enthält, und auch noch die Stille dazu, in der sie jetzt aufgehoben ist, so wird diese Anmaßung der Aneignung doch immer wieder zunichte, weil diese Gezeigte, Gezeitigte, die das Zeitliche gesegnet hat, all diese Facetten ihres Seins jetzt endgültig bei sich behält, niemals hergeben wird, die Aneignung durch den Künstler entschlossener verweigert als sie es im Leben je hätte tun können, da auf jede ihrer Gesten noch Ketten von weiteren folgen konnten. Da kann kein Weg gebaut werden, der Weg ist weg, auch wenn er gezeigt wird. Er führt ins Freie, das das Nichts ist, und gerade diesen Weg kann der Kü nstler nicht mitgehen. Die einzige, die gewonnen hat, ist die Verstorbene. Sie rafft diesen Weg an sich wie ein Kleid und geht fort. Wenn schon das Denken nicht den Weg ins Freie schafft, wie sollte dann das Zeigen, das Sehen es können? Es gibt uns einen Wink, aber es gibt ihn nicht her.

 


Gedanken zur Fotokunst Nobuyoshi Arakis © 1997 Elfriede Jelinek

 

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