OFFENER BRIEF

an ein paar französische Steuerzahler, die es interessiert

Künstler sein, das ist fein, aber am liebsten sollte man tot sein. Dann kann beliebig mit einem herumgeschoben und, wenn Übermut vorhanden, auch umgesprungen werden, die toten Meister stört es nicht mehr, und auch ihre Erben sind ja bereits verstorben. Wie schön. Mit uns Lebenden können sie es aber machen, daß sie gar nichts mit uns machen oder etwas, je nach Lust und Laune. Halten wir uns an die Fakten, damit wir wenigstens etwas haben, an das wir uns halten können. Viel ist es nicht. Es ist alles.

Wir, Olga Neuwirth als Komponistin und Elfriede Jelinek (nach Leonora Carrington) als Librettistin, haben im Auftrag der Wiener Festwochen und in Gemeinschaftsproduktion mit der Opera du Rhin, eine Oper verfertigt, „Bählamms Fest", an der die Komponistin zwei Jahre lang jeden Tag kontinuierlich gearbeitet hat. Kurz und gut: die Wiener Aufführung fand statt. Alle beteiligten Interpreten hatten ihre Verträge für die geplanten 5 Strassburger Vorstellungen in den Taschen, sich, natürlich, die entsprechende Zeit freigehalten, anderweitige Engagements mit gutem Gewissen verweigert und schickten sich nun guten Muts an, mit den Proben für die Aufführungsserie in Frankreich zu beginnen. Doch was passiert? Eine Woche vor Probenbeginn: Aus. Schluß. Ende vor Anfang.

Das offenkundig vor der plötzlichen Verarmung stehende Opernhaus von Strassburg kann die Produktion nicht herausbringen, weil ihm DM 200 000.- fehlen. Eine ungeheure Summe, ich will sie mir gar nicht vorstellen müssen, ich muß mir schon viele andere Sachen vorstellen, die alle zusammen auch schon ziemlich unglaubwürdig sind, und die ich meinen Lesern trotzdem irgendwie verkaufen muß. Aber solche Sachen passieren wirklich!

Es wird eine fertige Produktion vom Co-Partner (man weiß, daß neues Musiktheater ohne Co-Produktionen kaum noch möglich ist, aber man sollte sich vielleicht auch darauf verlassen können, daß der Partner nicht aufsteht und weggeht, bevor er sich überhaupt ins gemachte Bett gelegt hat) wie Müll aus dem Programm gekippt, wir wollen aber wenigstens Sondermüll sein, wenn man uns schon buchstäblich sang- und klanglos entsorgen will!

Eines der größten Opernhäuser Frankreichs, hochsubventioniert mit öffentlichen Geldern, das schon soviel Geld in diese Zusammenarbeit mit den Wiener Festwochen investiert hat, „muß" wegen DM 200 000.- eine ganze fix geplante Serie von Aufführungen einfach abblasen. In den Wind schießen. Außer Spesen nichts gewesen, sagt man in Deutschland, gibt es in Frankreich ein ähnliches Sprichwort? Sicher! Die Strassburger Oper muß nun sämtliche Beteiligte, Musiker, Sänger, Dirigent, Elektroniker, Regisseur, Tänzer, alle alle ausbezahlen, ohne daß sie irgend etwas davon hat. Sind wir Glasmurmeln, mit denen man herumschieben kann, wie es einem paßt? Sind wir lebende Tote, über deren Köpfe hinweg man Dinge entscheiden kann, als ob wir, und nicht nur wir, alle an dem Projekt Beteiligten, die ja bereits etliches an Arbeit und Lebenskraft investiert haben, eben wirklich schon unter der Erde wären? Und wären wir es, würde man wahrscheinlich respektvoller, um nicht zu sagen: pietätvoller mit uns umgehen. Ist unsere Arbeit so schlecht und uninteressant, daß man lieber große Summen bezahlt, damit sie NICHT aufgeführt werden muß? Kann man in Strassburg einfach gutes Geld anderem guten Geld hinterherschmeißen, ohne daß man etwas dafür bekommt? Vielleicht damit wenigstens das Geld sich nicht langweilt, weil es Gesellschaft bekommt, ohne selbst auch arbeiten zu müssen? Können die sich das dort leisten? Sieht ganz so aus. Gar keine Vorstellung scheint besser zu sein als alles, jedenfalls besser als Vorstellungen. Vorstellungen scheint man sich dort keine zu machen, was so etwas für Künstler bedeutet.

4 Millionen österr. Schillinge hat Strassburg in das Projekt gesteckt, damit sie es jetzt nicht zeigen müssen. Haben sie schon vorher gewußt, daß sie es nicht zeigen werden? Weiß das der französische Steuerzahler? Gibt es in Frankreich ein Gesetz, das verlangt, Gelder, die für Kunst bestimmt sind, gleich aus dem Fenster zu werfen, wo noch viel mehr gute Luft ist, von der die Künstler ja bekanntlich leben? Will man auf diese etwas extravagante Weise die zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstler fördern? Indem man sie bezahlt, damit man ihre Werke nur ja nicht vorstellen oder aufführen muß? Vielleicht bezahlt ihr uns das nächste Mal schon vorher, damit wir gar nicht erst anfangen müssen zu arbeiten, wir würden uns viel Zeit ersparen, und für den französischen Staat wäre es doch offenbar dasselbe: sie zahlen, um nichts zu bekommen, anstatt daß sie zahlen, um etwas zu bekommen. Vielleicht wird das jetzt überall so Brauch, wer weiß? Wir Künstler sind nicht nur nichts mehr wert, wir sind sogar weniger wert als nichts! Wir sind ein negativer Wert, wir stehen auf der Sollseite der Bilanzen.

Vielleicht sollten in Zukunft wir uns etwas ersparen, was die Zusammenarbeit mit der Grande Nation betrifft, die ja immer so viel auf Kunst und Kultur gehalten und ihren Ruf nicht zuletzt darauf gegründet hat? Ich würde bitte das nächste Mal, falls es eines geben sollte, mein Geld lieber schon im vorhinein kassieren, damit ich gar nicht erst zu arbeiten anfangen müßte, und die meisten meiner Kollegen denken da möglicherweise ähnlich. Vielleicht ein kleines Monatsgehalt, um endgültig zu verstummen? Wie wärs damit? Wir haben bisher nicht gratis, aber oft umsonst gearbeitet, diesmal wollen wir nicht gratis, aber auch nicht umsonst arbeiten.

Wir denken uns, irgendwo wird an geeigneter Stelle schon ein oder ein anderer Bürokrat sitzen, der die Hand aufhält und kassiert, sein monatliches Gehalt ist ihm ja sicher. Er sitzt da, im wohligen Gefühl, daß er tun darf was er will, ohne sich Ärger einzuhandeln. Man weiß nicht, wer er ist, aber er entscheidet. Einer muß es ja tun! Und so sitzt er da und verhindert, was durchzusetzen er an seine Position gekommen ist. Vielen Dank von uns allen. Hauptsache, es geht ihm gut und er wird nicht gestört.

Herzliche Grüße von Elfriede Jelinek und Olga Neuwirth


Offener Brief © 1999 Elfriede Jelinek

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