Ein
Sportstück
Monolog
Andi
(Ein
erleuchteter Heiligenschrein tut sich auf. Darin eine Art Pietà:
Die alte Frau sitzt in altmodischer Unterwäsche, Combinaige, Gesundheitsschuhe,etc.
auf einem Stuhl und hat den Leichnam ihres Sohnes Jesus, hier immer Andi
genannt, der im Bodybuilderhöschen ist, auf ihren Schoß gebreitet.
Er kann aber auch als Säugling verkleidet sein, kann auch von einer
Frau dargestellt werden, denn er soll irgendwie geschlechtslos wirken.
Im Hintergrund, hell erleuchtet, ein Foto Arnold Schwarzeneggers, es können
auch kurze Filmsequenzen mit ihm projiziert werden, immer wieder. Vor
den beiden liegen Kränze mit Kranzschleifen, die aber schon halb
verfault sind. Den folgenden Monolog Andis unterbricht die Frau immer
wieder stereotyp mit den Worten: Hallo, wer spricht? Hallo, wer spricht!
Man kann auch die beiden großen Monologe miteinander verschränken,
je nach Lust und Liebe.)
Andi: Hören Sie! Kaum habe ich mir die Hieroglyphe des Sports in
meinen Körper eingravieren lassen, hat der Sport auch schon begonnen,
meinen Körper, seinen lieben Wirt, ja den, mit den anheimelnden bunten
Bildern vorm Haus!, von innen her aufzufressen. Der Sport hat aus mir
Laufmeter Mensch gemacht, die sich, ihr eigener Teppich, immer wieder
voranschleudern mußten, ins Ungewisse hinein. Und dort bin ich jetzt
angelangt. Eins war mir immer gewiß: Das Ziel. Aber wo ist es jetzt?
Ich seh immer schlechter! Nebel. Alles tut mir weh! Meine heimatlichen
Almen sind mir längst über den Kopf gewachsen. Sie haben mich
großes Kind zwar glücklich gemacht, aber das kuhartige Bleiben
ist auf die Dauer nichts für mich. Bringt keinen Ertrag. Ist nicht
zu ertragen. Diese Zufriedenheit, die von der Vernunft langsam, in vielen
Arbeitsstunden, hergestellt wurde: mit einem Mal verwandelt sie sich in
einen bissigen Hund und jagt uns aus dem stillen Haus, nun ade. Wo bin
ich? Als erstes mußte ich natürlich meine Zufriedenheit zerstören,
indem ich langsam, wie eine Flüssigkeit, in mir, dem einzigen Gefäß,
das ich hatte, hochstieg, bis zum Rand. Und irgendwann einmal bin ich
dann über mich hinausgewachsen, wer hätte es mir, dem armen
Bauernbuben, zugetraut? Ich stelle mich nun meinem großen Vorbild,
Arnie, zur Verfügung. Er nimmt mich als sein Kind und seinen Schüler
an. Doch ihm nachbilden muß ich mich ganz allein. Der Arnie darf
jetzt sein Gesicht behalten. Er darf sich der Welt als einer präsentieren,
der sich selbst geschaffen hat. Aber was soll ich tun? Obwohl... mein
Arnie hat früher einmal einen künstlichen Menschen sehr natürlich
dargestellt. Da war er ein Fremder, der in einer Fabrik hergestellt worden
ist. Natürlich in einer Übermenschenfabrik, die Unnatürliche
herstellt. Ich selber bin natürlich immer natürlich geblieben.
Was nützt es mir jetzt. Auch wir, normale Unsterbliche, bestimmen
ja selbst, wer uns fremd bleiben soll und wer ein Gott werden darf.
Ich mußte immer alles ganz alleine machen, im Gegensatz zu diesem
wunderbaren Menschengebäude, das mir so gefällt, Arnie: Der
liefert sich im Stück ab, nachdem er auch die anderen alle noch fertiggemacht
hat. Je mehr er von seiner Mama redet, umso weniger scheint er von ihr
abzustammen. Der hat einen Erfolg gehabt, sakra! Je reicher er wird, desto
besser wird er. Anders ich. Zuerst mußte er böse sein, dann
durfte er wieder gut sein mit uns. Ich kann es nicht anders sagen: Ein
Gott. Ein Blitz, der durch die eigene Stirn geht, der äußerste
Rand, von dem ein Mann noch abspringen kann, ohne auf dem eigenen Balkon,
den er von oben für zwei Stück Brüste gehalten hat, zerschmettert
zu werden. Mindestens zwei Meter tief und fünfzig Zentimeter breit
ist die Tiefe, also: nichts wie runter! Die Berge sind ja auch nur dazu
da, daß man sie besteigt. Allein Erfolg hat meinen Arnie dermaßen
verwandeln können. Was könnte Erfolg erst aus mir machen! Ich
bin doch viel folgsamer und formbarer! Ich ging jedem Wink nach, wie ich
stärker werden könnte.
Das Böse ist eigenschaftslos wie ein Arbeiter unter Millionen seinesgleichen.
Es will nur etwas zu tun haben, ist ohne Ziel, ohne Verlangen, ohne nichts.
Das Gute dagegen, das Ethos, hat seinen ganz eigenen Ton. Mein liebes
Vorbild Arnie, jetzt breitet er die Flügel aus und setzt zu einem
Höhenflug an, bei dem alle Aussichten schon ihm gehören. Der
muß jetzt nicht mehr der Böse sein! Der hat ja schon fast ein
eigenes Gesicht! Er hat seine Flügel immer wieder an seinem Bild
gerieben, und ein schriller Ton ist erschallt, als er und sein Bild ineinander
sprangen. Etwa wie von einer Grille. Ein brennender Reifen durch einen
brennenden Reifen. Na sowas, inzwischen treiben es ja schon die Bilder
miteinander! Bald werden sie es von ganz alleine können. Aber noch
glotzen wir hinein und treiben sie an, bis unsere Pupillen rot anlaufen.
Das Glas vor dem Fernseher zerspringt vor Wut. Wenn ich so etwas versuchte,
dann ertönte immer nur eine grauenvolle, hänselnde Mutterstimme.
Ist nie zufrieden. Zu früh, zu kurz, zu langsam, zu sehr ich selbst.
Zuwenig wer andrer. Die gibt mir dauernd Anweisungen. Ein andrer sein!
Marsch! Dabei ist sie gar nicht meine Mutter. Diese Frau will mich nicht!
Sie will nicht, was sie geschaffen hat, sie will immer mehr, immer mehr.
Sie will ihren Einzigen als einen, der allen gehören soll! Wie Arnie.
Ja einen solchen einzigen wie den hat noch niemand für sich alleine
gehabt. Aber meine Mama hätte ihn gerne, glaub ich. Na, jetzt hat
sies aber gekriegt!
Halt, ich sehe jetzt, da ich drunten bin, Arnies Wurzeln! Sie konnten
ihn nicht festhalten, er konnte einst wegfahren aus der Mutter Erde. Ist
die Erde auch meine eigentliche Mutter? Jetzt bin ich bei ihr und in ihr.
Ich sehe Triebe! Sind das die richtigen? Arnie zeigt sie mir, nur mich
läßt er diese aufrechte Haltung aus Fleisch jetzt sehen. Diese
Haltung hat er nach dreißigjährigem Aufenthalt auf seiner Lieblingserde
als Treuegabe bekommen! Ich versuchs ihm nachzumachen, so: Auch meine
Wurzeln halten jetzt endlich in dieser saftigen Erde, aber wieso kriege
ich sie nicht mehr raus? Das ist mir doch ganz anders vorgemacht worden!
Ich stecke bis über die Hüften in meinem Grab, versuche, mich
rauszuarbeiten. Bläulich das Gestrick meines Sehnens. Es nützt
nichts. Der Tod ist das einzig mögliche Auftreten des Mannes - bösartige
Lebensbegriffe, Feindschaften, Krieg. Bei der Frau das Gegenteil, die
Mutterschaft. Warum wollen diese Mütter immer andere Söhne als
sie haben? Soviel ich auch strample und schwitze, ich hatte mich in der
Muttererde längst festgefahren, als ich zur Odyssee in die Fremde
aufbrechen wollte. Ich bin im Grunde nie weggekommen von meinen erbärmlichen
Vorstellungen von Heimat.
Keine Frau hat jahrelang inmitten von Verehrern auf mich gewartet, so
mußte ich mir meine Freundin als Proviant eben überallhin mitnehmen.
Es wird von uns erst geheiratet, wenn meine Freundin Weltmeisterin geworden
ist. Ja, auch sie: jahrelanges härtestes Training! Es hat nichts
genützt. Ich fand bei ihr keinen Anreiz, unbändig wild zu werden.
Wo ich stand, war ich, ein männliches Sterntalermädchen, vom
Glockenklang des Heimwehs überschüttet. Warum muß ein
Mann fortgehen? Nur mein Einziger, mein Arnie, hat das je geschafft: Geliebt
zu werden und doch fortzugehen. Immerhin, auch ich hänge, wie er,
an meinen lieben Eltern, dem Stückel Grund und Boden, dem kleinen
Haus im Gebirg. Ich ziehe an ihm, dem Terminator, der so viele Termine
haben darf. Wo der überall auftreten muß! Oh, könnte ich
das doch auch müssen! Doch ich muß immer nur hier unten liegenbleiben.
Sein Körper ist seine Uniform, sein Zeichen. Sein eigenes Zeichen,
und das bedeutet: Nichts. Ein Nichts, das dem Gemachten gegenübersteht.
Na, mir gings ans Eingemachte, kann ich Ihnen sagen. Ich mußte mit
dem ganzen Körper zahlen. Schämte ich mich nicht, damit an die
Öffentlichkeit zu treten? Und so ist es mir passiert, daß ich
jetzt tot bin. Nur weil ich ein paar Monate mit dem Essen nicht aufgepaßt
habe. Auch ich durfte für mich einnehmen, doch anders als man denkt.
In aller Heimlichkeit habe ich mir meine Männlichkeit angezogen.
Aufgepaßt, daß keiner herschaut! Jeder hat sein Verlangen
verhalten können. Nur ich habe mit mir nicht gespart. Meine Leber,
meine Nieren wurden langsam lose, flatterten in mir wie Gardinen. Ja,
was habe ich jetzt davon? Jetzt muß ich stilliegen, vom Leichenhemd
meines selbstgezeugten Mannstums umkleidet, was jeder Arzt mir gern schriftlich
bestätigen wird. Wir basteln uns einen Mann aus fünf Substanzen,
stand auf dem Lehrplan für den Übermenschen. Da lernt man also
und lernt, aber man kommt nicht weiter. Meiner Mutter liefere ich den
letzten Liebesakt, den ich ihr schulde, da sie mit mir ja nie zufrieden
ist: einen Akt der Hingabe zwischen Mutterlosen, Selbstgeschaffenen, Selbstgeschafften.
Ja, das sind wir, wir erkennen einander, wenn wir dauernd zur Mama zurückrennen
aus der Fremde. Meine Mama wird erst zufrieden sein, wenn ich ein anderer
geworden sein werde, eigentlich: keiner. Niemand mehr. Hier bitte, das
hat sie erreicht, jetzt bekommt sie mich ausbezahlt, aber als einen anderen
als den sie gemacht hat! Dort, mein Geldbörsel, meine Schlüssel,
meine Scheckkarte, meine Sturmjacke, in deren Ärmel nichts mehr einfährt.
Ich bin längst zutage gefördert. Ja, ich bin gefördert
worden, doch unterm Strich steht nichts auf dem Richtblock drauf. Es kann
ja auch nichts Dauerhaftes von der Frau kommen, es muß alles erst
noch ganz anders werden, bevor sie einen schließlich an Kindes Statt
annimmt. Und dazu ein zünftiges steirisches
Blitzlichtgewitter!
Sakra sakra!
In meinem Körper ist Leistung gut aufgehoben, und zwar dermaßen
gründlich, daß mein Körper außerhalb seiner Leistung
gar nicht existieren darf. Abgesperrt und den Schlüssel weggeworfen!
So war das zu meinen Lebzeiten. Und so bin ich jetzt von mir weggekommen,
nur um zu bleiben, eingeschlafen. Bitte, ich möchte werden wie Arnie,
aber wie geht das? Denn der lebt ja noch! Ich lebe leider nicht mehr,
doch ich gönne es ihm, daß er da stehenbleiben oder über
die Leinwand rasen darf. So wie der heute wieder auf euren Bildschirmen
herumgeht! Super! Ohne Fallschirm aus einem Flugzeug! Als wäre er
dort in der Luft zu Hause! Ich war immer nur zu Hause zu Hause. Er tut
auf der Leinwand vertraut mit mir, mein Held, aber er lügt! Er macht
das mit Millionen anderen doch genauso! Er tut, als könnte ich ihm
so einfach nachkommen. Aber ich habe hier noch zu tun. Muß besser
werden als er! Muß! Muß!
Bitte, ich kenne Arnie, als wäre er einer von mir, als wäre
er ich. Ich forsche, wenn ich ihn sehe, auf meinem schönen Poster,
das ich mir von ihm in meinem Grab aufgehängt habe, in seinen Zügen
forsche ich, wann ich auf ihn abfahren darf. Und schon fahre ich! In rasendem
Tempo bergab. Mein eigener Krankenstationsvorstand. Seinen extragroßen
Kranz habe ich mir extra aufgehoben, er sickert, Erde, langsam in mich
hinein, daß ich bis in meine arme Seele hinein erbebe. So war das
ursprünglich nicht geplant! Leider sehe ich Arnie so gar nicht ähnlich,
das ist jetzt aber egal. Wer schaut schon auf das Gesicht? Und hier unter
der Erde sieht mich ja doch keiner mehr. Ich arbeite hart, und doch verweise
ich mich immer zu früh in meine Schranken, bevor ich diese noch durchbrechen
kann. Der Arnie, der hüllt sich in seinen Körper, als ob der
Körper schon er selber wäre, und er schreibt auch noch was drauf!
Er schreibt mir jeden Tag, wieviele Sätze, Sekunden, Minuten er mir
vorausgeeilt ist. Ich kenne seine Briefe schon auswendig, noch bevor er
sie geschrieben hat. Aber er ist nicht Jesus, dem ich ja auch jeden Tag
in unsrer Wohnküche begegnet bin. So hatte ich Vergleichsmöglichkeiten.
Mein Gott, der andre ist ja mein Gott, der Arnie! Nicht der Gott, den
Sie wahrscheinlich meinen, wenn Sie wütend sagen: mein Gott! Von
alleine wächst sie nicht, die Muskelmasse, auch wenn sie Ihnen in
der Apotheke versprochen wurde. Gott hat mit Ihrem Körper rein gar
nichts zu tun. Was er Ihnen gegeben hat, ist nichts. Das weiß ich
jetzt, da ich selbst wieder zu Nichts werde. Den Arnie kann ich mir aber
noch anschauen, auf dem Bild in meinem Kopf, aus dem die Knochen grinsen,
als hätten sie an Stelle Arnies mein eigen Bild gesehn. Aus der Nähe,
in Großaufnahme. Beides probiert-kein Vergleich! Ich möchte
wieder Kind sein, um wenigstens einmal soundsoviel Beachtung zu verdienen.
Weil ich, einmal wenigstens, meine Hausaufgabe an meinem Körper ordentlich
gemacht haben werde. Zu spät. Der Lehrer war da und ist schon wieder
weggegangen.
Jetzt habe ich mir rasch noch diese neuen Schuhe gekauft, die ideal sind
zum Laufen und Springen, zu diesem Wandern der Großen. Aber auch
diese Schuhe, für die auf der ganzen Welt geworben wird, weil der
Sportler ja nicht überall zugleich sein kann, werden mich nicht verwandeln.
Sie werden mich höchstens vertreten können. Was habe ich da
eben gesagt? Muskeln verweisen stets auf Anstrengung, nicht auf Natur?
Das ist nicht ganz korrekt, denn ich habe meine Muskeln ja nicht nur der
Anstrengung zu verdanken. Ich bin ein paar hundert Schritte über
mich hinausgegangen, und dann bin ich wieder zu mir zurückgekehrt,
doch da habe ich den Eingang schon nicht mehr gefunden. Der muß
derweil mit irgendwas zugeschüttet worden sein.
Ich rufe von unten mit meiner besten Bahnhofsstimme herauf: Ich bin ich!
Ich bin doch euer lieber Andi mit seinen blonden Locken, die die Verwandtschaft
immer so bewundert hat! Andi nennt man Arnie, wenn er nicht Arnie ist.
Ich ich ich, anders gesagt: ich bin es. Nein. Ich war es. Hören Sie!
Ich habe immer so auf meine Gesundheit geachtet, beim Essen, als Sportler
lebt man ja natürlich, doch als Kraftsportler lebt man umgekehrt.
Was man auch zu sich nimmt, es schadet einem. Man bleibt stehen und baut
sich selbst auf, und dann geht man in sich hinein und merkt, daß
man alles wieder abgebaut hat, was man sich an Zubauten mit seinen letzten
Ersparnissen geleistet hat. Mansarden. Balkone. Ziergiebel. Stuck. Ich
würde mir diesen letzten Gruß des Terminators, die Kranzspende
auf meinem Grab, so gerne vergönnen. Ach, könnt ich doch noch
ein einziges Mal hinauf! Doch ich muß warten, bis der Kranz mir
hinterrücks in die Erde rieselt, in den Fleischkragen, oh je, sie
werden ihn doch nicht wegschmeißen, meinen Herrenkranz!
Ja, mein Arnie, der durfte sogar abnehmen, um in seinen Smoking hineinzupassen.
Und ich war noch nicht einmal so weit, daß ich mich wieder hätte
anziehen dürfen. Der ungebärdige Arzt Öffentlichkeit hatte
noch gar nicht sein Machtwort gesprochen: "Sie können sich wieder
anziehen". Ich mußte aus meiner Kleidung immer wieder herauswachsen
anstatt in sie hinein.
Ich war und blieb ein armer Bauernbursch. Ich setzte dem Überfluß
tapfer meinen Mangel entgegen. Wen interessierts. Doch auch dieser Mangel
wird einmal in Fluß kommen, wartet nur, was aus mir noch werden
wird, wenn ich in mir endlich ganz ertrunken bin! Das dauert! Und trainieren
kann man es nicht. Ich bewunderte immer die Natur, na, jetzt habe ich
Gelegenheit dazu. Ich sehe sie sozusagen von innen, von ihrer Schokoladenseite,
von der sie sich nur den Toten zeigt. Die Maden bewaffnen sich bereits
mit Bestecken. Heute stecken sogar die mich in die Tasche! Früher
war es anders. Noch lebt aber etwas von mir. und wärs ein Foto. Hilfe!
Ich halte ja ganze Fetzen von mir in der Hand! Da versucht man mit aller
Kraft das Fortkommen, bis man sich, wie ein Nest von jungen Schlangen,
aus sich selber fortgeschlängelt hat. Selber zu Gewässer wurde.
Leber aufgelöst, Nieren hin, Muskeln noch da, doch darunter ist alles
flüssig. Überflüssig! Mama!
Wenn den Körper außen nichts mehr zusammenhält, dann rinnt
er einfach über die Ufer hinaus. Warum hast du mir keinen andren
gegeben, Mama? Es gab leider eine Überschwemmung von mir! Statt älter
wurde ich immer nur: größer! Zu diesem riesenhaften Aussehen
zu gelangen, darauf habe ich mir schon was einbilden dürfen!
Ich bin der Andreas von der Pack, guten Tag. Ich tue mir jetzt, da ich
tot bin, schon ein bißchen leid. Ich habe so nachhaltig und so sorgfältig
an mir herumgebessert und jetzt das! Bitte, es hat mich schon etwas verlegen
gemacht, mich vor so vielen Leuten zeigen zu müssen, die an mir hinauf-
und dann auf mich hinuntergeschaut haben. Bei manchen habe ich Rührung
erzeugt. Das wollte ich nun auch wieder nicht. Meine Verlegenheit vor
so vielen... es ist, als ob man sich immer nur sich selbst als seinen
Mantel hinhalten müßte, bereit zum hineinschlüpfen. Doch
man findet die Ärmel nicht. Wie komme ich eigentlich dazu? Da kommt
man doch glatt in die Lage einer Frau, nur weil man sich beruflich immer
wieder ausziehen muß! Das verhindert vielleicht sogar, daß
man ein Mann wird. Das liegt mir wie eine Tellermine im Magen, bei der
man den Teller mitgeschluckt hat, anstatt ihn nur ordentlich abzulecken
und dann der Mama zum abwaschen zu geben. Geschluckt habe ich wahrhaftig
genug. Da wirkt man kindhaft, gutmütig, bei alldem Testoviron, Parabolan,
Halotestin. Da gibts ein geheimes Kammerl zwischen dem Vater und den Frauen,
und da hinein kommt der Sohn. So komme ich also ins Spiel, ein ewiger
Sohn, der nach seiner Mama schreit. Doch die war nie da. Sie hat aber
meine Karriere aus der Ferne beobachtet, verbissen in ihren Mißmut,
ihre Kränkungen. Schreit aus der Ferne mit mir herum.
Arnie muß nicht schreien. Umso lieber spricht er, hat uns immer
etwas zu sagen, mit seiner modischen Stimme, die den Steirermann hervorkehrt.
Gewiß meint er allein mich und sonst keinen! Er nimmt mich auf die
Schaufel, und dann kehrt er mich wieder fort, unter den Loden des österreichischen
Bodens, unter den Filz des österreichischen Huts. Der Arnie hat mir
diesen schönen Bausatz geschenkt, und damit soll ich jetzt was anfangen!
Ich war nach meinem Tod zu öffnen, so stand es auf der Gebrauchsanweisung.
Unsere kleine Wirtschaft daheim hat ja nie genug zum Leben abgeworfen,
aber warum deshalb gleich die ganze Gesundheit auch noch hinterher schmeißen?
War dumm von mir.
Jetzt bin ich nicht mehr zu ändern. Andrerseits war gerade die Gesundheit
bei mir: Programm. Wie bei jedem Sportler. Nichts Schlechtes, Schmutziges
essen, das ist überhaupt die Hauptsache. So kam es, daß ich,
ein riesenhaftes Kind, den ganzen Arnie in die Tasche stecken wollte und
erst im letzten Moment merkte, daß ich gar keine Taschen hatte.
Ich habe mein letztes Hemd nicht mehr. Ich bin ja nackt und tot! Eine
feste Burg, so stehe ich jetzt alleine um mich her. Ich armer Andi, da
habe ich mich so gemartert, nur damit ich heute ein mickriges Marterl
über mir stehen habe. Das Normale hat mir nicht mehr genügt.
Ich wurde Massiv, nur um mich selbst zu erklettern. Es ist nie so weit
gekommen, daß ich, wie mein Vorbild, einmal einen wirklich schönen
Anzug anziehen durfte. Ich selbst war mein einziger Anzug, mein einziger
Mantel, mein Schutz und mein Schirm: Meinen Körper habe ich mir selbstgemacht
und dann, als er endlich gepaßt hat, angezogen.
Ich versuchs ja, aber es geht einfach nicht, daß ich mich hier beschreibe
wie ein Kleidungsstück, von so nah. Und ich selber bin so fern! Der
ganze Sinn und Zweck von mir hat darin bestanden, mir den Rückweg
in mich zu versperren. Ausufern soll man, nur damit man in seine Ufer
zurückkehren kann. Zurück zur Mutti. Wenn ich nur denke: Dieser
Chemiebaukasten,
den ich mir zugeführt habe, sollte mich ganz neu aufbauen. Doch im
Gegenteil, diese Nahrung hat mich restlos abgebaut. Ich muß irgend
etwas falsch gemacht haben. Kein Wunder, das Kochen und Backen besorgt
ja sonst auch immer die Mama. Sie hat meine armen Knochen paniert. Zuviel
Nachspeise vielleicht? Für den ewigen Burli? Von Mamas Nußkuchen
konnte ich einfach nie genug bekommen. Zorn erfaßt mich plötzlich
wie ein Sturm. Treibt mich davon. Ich mit meinem zuerst gelockten, später
geschorenen Haar, das sich nicht recht erweichen läßt. Dem
Haar der Bauernbuben. Sommerlich rot meine Wangen, die Wangen eines Kindes,
auf das eine Erscheinung fällt, durchs Blätterwerk der Bäume.
Und diese Erscheinung nimmt es sich so zu Herzen, als käme sie von
einem wirklichen Menschen. Ein Mann braucht Vorbilder, die nicht von seinen
schlechten Eltern sind, sondern allein von ihm selbst. Oder von einem
Phantom von ihm, das so lang menschliche Umrisse annimmt, bis man sich
zu fürchten beginnt.
Immer habe ich auf dieses Gespenst gestarrt, auf diesen Koloß, der
sich schwankend in mir erhob, nur um sich gleich wieder, leutescheu, zu
setzen. Nie konnte ich den Weltmeisterschaftstermin, den ich mit mir ausgemacht
hatte, einhalten. Immer ist etwas dazwischen gekommen, sind zwei andere
dazwischengekommen, nämlich der Erste und der Zweite. So habe ich
mich selbst vorzeitig beendet, ohne erwachsen geworden zu sein. Ich Sohn.
Jetzt denken sie zuhaus auf der Pack jeden Tag an mich. Warum spielt ein
Musiker auf seinem Instrument, er müßte ja nicht? So mußte
auch ich jeden Tag auf meinem Körper spielen. Und eines Tages mußte
ich mich eben aufbrauchen, da ich die Packung nun einmal geöffnet
hatte. Ich habe mich an mich selbst vergeudet, zu dumm. Mein eigener Müllsack,
so habe ich mich aufgebläht. Alles heiße Luft! Obwohl äußerlich
fest. Ein Kind, das sich zu früh geglückt ist, um noch erwachsen
zu werden. Die Augen ständig bittend zum Reporter gewandt, der etwas
Gutes über mich sagen sollte. Jetzt sieht mich keiner mehr, dort
unten in der Erd. Ich war dankbar und gut, ja, das kann ich von mir sagen.
Daß ich gestorben bin, ist schade, finden Sie nicht? Ein stiller
Bua, ein Baum, zur Eiche hats nicht ganz gereicht, aber meine Krone hatte
doch ein paar ganz nette Zacken, die mich letzten Endes aber immer nur
selbst gestochen haben. Wie der Hafer. Bitte, greifen Sie zu!, das ist
gut betonierte Körpermasse! Jetzt essen mich andere in meinem Grab.
Einmal habe ich es mitsamt meinem Fleisch, nein, durch mein Fleisch, bis
auf ein Titelbild geschafft. Das war mir mehr wert als WM-Gold es hätte
sein können. Es hätte ja sein können. Nichts wie weg von
mir! Gehen Sie! Mein Bild hat nämlich eine starke Anziehungskraft!
Stemmen Sie sich dagegen! Dieses Land nimmt jede freie Stelle sofort ein,
die der Sportler nicht mit sich selbst besetzt hält. So gierig ist
es! Zuerst stellen sie den Sportler auf einen Balkon, brüllen wie
verrückt, und dann vergessen sie ihn. Deshalb versuchen ja soviele
Leute, von Österreich fortzukommen. Damit es hier mehr Leerstellen
gibt. Dabei bleiben sie aber auf der Stelle, diese Sportler, ich weiß
nicht, sie kommen irgendwie nicht los von diesem Land. Sie bleiben, um,
duldungsstarr, ihren eigenen Bildern gegenüberzustehen, die aber
längst ihren Sponsorenfirmen gehören. Wieso sind auf den Bildern
immer andre drauf als man selbst? Wir Ungezählten wünschen uns
Flügel und bleiben doch gefügig. Daheim. Ich, fest und treu,
der liebe Muskelberger. Ich bin festgesessen im Alpensattel, den ich mit
mir vollgepackt hatte, um aus mir fortzufahren. Aus dem anfänglichen
Spaß des Sports wurde bei mir rasch eine verzehrende Leidenschaft,
mich selbst zu verzehren und dann außen anzubauen wie diese riesigen
alpinen Blumenkästen vor unseren preisgekrönten Zucht-Häusern.
Jeder Sportler sein eigenes Hausgärtchen! In dem er sich von der
Anstrengung fest durchschlafener Nächte erholen kann.
Arnie hat es mir vorgemacht, indem er sich mir hingab, ohne sich ganz
aus der Hand zu geben. Er muß teilweise aus Stahl sein, und doch
ist er mir immer durch die Finger geronnen, wenn ich nach ihm greifen
wollte. Man hätte mich nicht so einfach verschwenden dürfen,
glaube ich persönlich. Ich bin nicht abgegangen. Ich bin aufgetreten,
bis ich nicht mehr konnte. Ich habe das Geld für die dringenden Renovierungsarbeiten
an meinem Körper immer mühsamer aufgebracht. Aber ist Renovierung
nicht, daß alles neu wird? Sogar die Landschaft zieht sich ein paarmal
im Jahr neu um, aber sie kann trotzdem nicht umziehen. Sie bleibt da bei
uns. Ich bleibe jetzt auch da bei Ihnen, unter Ihnen. Ja, ich bleibe unter
Ihnen, aber anders als Sie glauben. Ich erschlage jeden Blick der sich
auf mich richtet. Auf mich, den freundlichen Bauernsohn, den Plumpsack
seiner selbst, der sich von innen her bereits vollständig aufgelöst
hat. Aber das sehen Sie von außen ja nicht. Seien Sie froh! Ich
bleibe also ein ewiges Versprechen auf Platz eins, über meinen Tod
hinaus, eine Hoffnung, wie man so sagt. Vielleicht werde ich auferstehen!
Wenn Jesus das konnte, dann schaffe ich es auch noch! Ich muß eben
noch härter trainieren. Meine Erscheinung sprengt das Bild, das ich
bin, doch öffnet diese Sprengung mir nicht die Wirklichkeit, sie
öffnet mir nur Räume, in denen noch mehr Bilder hängen.
Starr. In Pose. Ich bin der Führer und der Angeführte in einer
Person. Solange ich nur tot bleibe! Ich bin aus meinem Stein, aus meiner
Menschenmasse, die alle Menschenmaße sprengte, herausgetreten, und
dann bin ich wieder in mich hineingetreten. Meine eigene Statue. Ein Kraftsportler
in der Pose einer Revuetänzerin, damit war das Weibliche aber schon
wieder zu Ende.
Eine Frau kann halt kein Bild zu ihren Gunsten sprechen lassen, außer
eine andre als sie ist auf dem Bild drauf. Vielleicht ist das so, weil
diese Kandidatin und die dort auch kein Bild von einer Frau sind, obwohl
sie verzweifelt einem ähneln möchten? Sie halten verzweifelt
das Maßband fest, aber jemand reißt es ihnen aus der Hand.
Sie brauchen keins. Sie werden doch immer nur an anderen gemessen. Nicht
einmal tot möchte ich eine von ihnen sein.
Ich hingegen: Ich wurde zwar auch an anderen gemessen, doch ich kannte
mein Maß persönlich! Es hieß Arnie, und fast hätte
ich es vor meinem Tod noch erreicht! Beinahe! Männer, Güteklasse
A. Jetzt habe ich das alles hinter mir gelassen, auch die Güte selbst,
aber Klasse habe ich gehabt. Da kann keiner was dagegen sagen. Von mir,
einer Menschenbank, auf der so viel eingelegt worden ist, ohne je Zinsen
zu tragen, habe ich eine gute Aussicht auf den Tod, der mein Sieg ist
und mein Stachel. Tod, wo bist du? Ach ja, hier bist du ja! Jetzt, da
ich dein Bild sehe, merke ich: Ich bins! Juchu! Ich bin der Tod, zumindest
schaut der Tod mir ausgesprochen ähnlich, finden Sie nicht? Jetzt
seh ich: Ich habe die ganze Zeit nur auf mich selbst gewartet. Ich kann
diesen Stachel nicht aus mir herausziehen, sonst geht mein ganzer Körper
mit. Ich habe dem Sturm genau erklärt, wo er sich niederlassen soll,
denn ich werde nicht mehr dasein, wenn er endlich kommt. Aber mein Körper
wird mich hoffentlich würdig vertreten können.
Aus: Ein
Sportstück, 1998 Rowohlt (Uraufführung in Wien 1998)
Ein
Sportstück, Monolog Andi © 1997 Elfriede Jelinek
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