Was zu fürchten vorgegeben wird

Was zu fürchten vorgegeben wird, ist eine sogenannte Überfremdung. Ich sage vorgegeben, weil ich nicht glaube, daß die Porschefahrer und Großgrundbesitzer, die Papierbarone und smarten Werbefritzen wirklich etwas wie Überfremdung fürchten. Da sie sehr genau wissen, wer sie sind, können sie das Andere nicht wirklich fürchten. Doch sie kennen ihre Grenzen nicht, denn sie halten sich für die Größten - vielleicht ahnen sie nur wozu sie fähig sind, und was immer es ist, es scheint ihnen große Freude zu machen, denn es ist, das bleuen sie ihrem Anhang ein, gegen ein Anderes gerichtet. Es macht immer Spaß, jemand zu bekämpfen, so lange, bis Verbrechen aus Normalität möglich werden, denn als normal sieht man nur sich selbst und seinesgleichen. Der Papierbaron geht zur Baronin in den Salon und bricht ein paar Lanzen ab für die armen Leute, von denen die unter den Kristallustern keine Ahnung haben. Soviele andere, die sich nicht kennen, hängen ihnen an: Da ist nichts, was eine Gefahr wäre für sie, denn ihre Führer fürchten sich ja auch nicht. Sie sind jetzt dran!

Da sich die Führer und Einpeitscher dieser Partei nicht fürchten, wer soll sich denn dann fürchten? Andere sollen sich fürchten. Wer? Vor wem? Nicht die einen vor sich selber, sondern immer wieder andere, vor anderen, weil die angeblich „anders" sind. Diese Freiheitlichen wissen aber nicht, daß sie selber anders sind in dem trivialen Sinn, daß eben jeder anders ist als der andere, aber ihre Anführer wissen es natürlich schon. Aber das können sie nicht zugeben, sie müssen ihrem Wahlvolk ja immer ein einiges Ganzes suggerieren, ein Volksganzes, das sie bilden sollen, das aber von einer Art Keim des Bösen befallen ist und daher eine „Überfremdung" zu fürchten hat. Gelbe Plakate sprechen, ohne viel sagen zu müssen, davon, was weg gehört.

Die Menschen glauben jetzt überall, meist müssen sie aber erst jemanden in einer andren Sprache sprechen hören, um es zu diagnostizieren, das Fremde aufspüren zu können. Sie stellen ihre Diagnose: im ganzen Waggon kein einziger Inländer, der mich versteht! Aber indem der Fahrgast niemanden versteht, versteht er sich selbst naturgemäß auch nicht, denn an sich hat er nichts zu verstehen, er ist ja der Normale. Die anderen sind etwas anderes.

Die nicht sind wie wir, die müssen jetzt weg. Jetzt wird alles anders. Ich habe das neulich sogar einen Passagier in einem Bundesbus zu dem Schaffner sagen hören, der den Fahrschein des Fahrgasts sehen wollte: Jetzt wird alles anders, hat der erwidert, weil er seinen Fahrausweis, den er hatte, nicht vorzeigen wollte. Aber anders sein soll niemand. Eins ist allerdings sicher: es muß anders werden! Oder nein: Anders sein, das sollen viele, weil viele es angeblich bereits sind, und zwar anders aus keinem anderen Grund als dem, daß wir sie bekämpfen können. Diese anderen bedrohen uns im Gemeindebau und in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die nur uns gehören, denn wir haben sie bezahlt. Wie kann dieser Fahrer meinen Fahrschein sehen wollen? Ich bin doch Inländer! Die anderen, die zahlen nicht, nicht für ihre Fahrscheine, ihre Hormone und ihre Kinder, denen wird gezahlt. Jetzt zahlen wir es ihnen heim, denn unser Heim, das gehört uns allein. Und wenn sie anders sind, dann wissen wir gleich wieder, wen wir zu bekämpfen haben. Und wären wir anders als sie, dann müßten wir uns selbst bekämpfen, das kann wirklich kein Mensch von uns verlangen. Überall nur wir. Ein schönes Gefühl. Nie allein, wir alle gemeinsam, gerade indem wir umzingelt sind von den anderen.

Aber vielleicht ist es für die Eingesessenen, die sich automatisch als die „Normalen" sehen, schon wieder unerträglich, eben: normal zu sein, und daher: indem aggressive, ausgrenzende Verhaltensweisen, zu denen die Menschen, der Mann von der Straße, gezielt aufgehetzt werden, immer selbstverständlicher und alltäglicher werden, verbünden sich wieder Schrecken und Normalität, der Terror der Normalität und die Normalität des Terrors.

Die Schranken fallen, das Licht springt um auf Rot, aber es hält sie nichts mehr, es ist buchstäblich kein Halten mehr. Der Zug kommt, und sie rennen mit. Ich hoffe, wir können die Weichen noch rechtzeitig stellen und der Zug ist noch nicht abgefahren.

Abschluß der Demonstration am 12 Nov. 1999 am Wiener Stephansplatz
mit über 50.000 Teilnehmern
(Foto NEWS)

 

Rede gehalten am 12.11.1999 auf der Demonstration gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Österreich

 


Was zu fürchten vorgegeben wird © 1999 Elfriede Jelinek

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