DER STANDARD
Samstag/Sonntag, 9./10. Oktober 1999, Seite 11
Chronik


In Sigmund Freuds Fußstapfen

Neues psychoanalytisches Ambulatorium für bedürftige Wiener


STANDARD-Mitarbeiterin Chirine Ruschig

Wien - Für Menschen mit psychischen Störungen aber ohne ausreichende finanzielle Mittel, sich eine adäquate Behandlung leisten zu können, soll in Wien eine neue Anlaufstelle geschaffen werden: Kommenden Dienstag nimmt in der Gonzagagasse 11 im ersten Gemeindebezirk ein "psychoanalytisches Ambulatorium" seine Arbeit auf.

In Wien gab es schon einmal eine solche Institution, von Sigmund Freud initiiert und 1922 unter der Leitung von Eduard Hitschmann eröffnet. Diese Institution wurde damals ins Leben gerufen, um nicht nur mittellose Kranke nach Methoden der Psychoanalyse zu behandeln, sondern auch den Studenten der Psychoanalyse Möglichkeiten der Praxis zu geben. 1938 wurde das Ambulatorium von den Nazis aufgelöst. 60 Jahre später will man nun an die frühere Tradition anknüpfen.

Eine psychoanalytische Beratungsstelle existiert schon seit 1991 in Wien, an der die Psychoanalytiker unentgeltlich arbeiten und bisher etwa 900 Beratungsgespräche durchführten. Ein Ambulatorium war von Vornherein als Ergänzung geplant - als Einrichtung, in der die Psychoanalyse als Methode im engeren Sinne praktiziert werden würde und wo auch die nötigen Behandlungsbedingungen vorhanden wären. In einem solchen "ambulanten Setting" hofft man, auch Patienten mit therapeutisch schwer zugänglichen Störungen behandeln zu können. Zudem soll mit dieser klinischen Einrichtung unter der ärztlichen Leitung von Christine Diercks die Psychoanalyse als ernst zu nehmende Behandlungsalternative zu Medikamenten-Therapien einerseits und zu sonstigen psychotherapeutischen Richtungen andererseits ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.

Dem Ehrenkomitee gehören Psychoanalytiker, Minister, Persönlichkeiten der jüdischen Gemeinde Wiens und des öffentlichen Lebens an, die Festrede zur Eröffnung wird Elfriede Jelinek halten.


© DER STANDARD, 9./10. Oktober 1999
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