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Schweigen der Attentäter

Warum entlastet Jörg Haider die "Bajuwarische Befreiungsarmee" vom vierfachen Roma-Mord?

Die vier Männer, die am 4. Februar kurz nach 23 Uhr zum Kontrollgang durch ihre Siedlung aufgebrochen waren, weil sie verdächtigen Lärm gehört hatten, konnten schlecht lesen. Vielleicht ließen sie auch deshalb nicht die Finger von jenem schwarz gespritzten, mit einem Wasserleitungsrohr auf eine Gipsplatte montierten Metallschild mit der Aufschrift "Roma zurück nach Indien". Gegen 23.45 Uhr hörten die Bewohner der Oberwarter Roma-Siedlung einen dumpfen Knall. Erwin und Karl Horvath, Peter Sarközi und Josef Simon waren Sofort tot, als die Sprengladung detonierte.

Oberwart, Februar 1995

Foto: PROFIL

Zu dem vierfachen Mord wollte sich die "Bajuwarische Befreiungsarmee" (BBA) nicht bekennen. Keine Silbe haben die Terroristen, die in ihren Briefen sonst noch jedes ihrer Attentate ausführlich kommentierten, zu der heimtückischen Sprengfalle von Oberwart geschrieben. War irgend etwas schiefgelaufen, hatte man nicht mit Toten gerechnet, wurde die Sprengkraft der Bombe unterschätzt?

Der vierfache Mord paßte nicht ins bisherige Konzept der Terroristen:

Die Briefbomben der ersten Serie vom Dezember 1993 waren nicht tödlich. Die Klagenfurter Sprengbombe vom August 1994 war zur Ferienzeit vor einer Schule hinterlegt warden, und die vier Briefbomben vom darauffolgenden Oktober hatten die Terroristen aller Wahrscheinlichkeit nach als Blindgänger konzipiert. Als nicht tödlich erwiesen sich auch die letzten drei Briefbomben vom vergangenen Juni.

Selbst in ihrem jüngsten, 28seitigen Schreiben breitete die BBA über das Blutbad von Oberwart den Mantel des Schweigens, wohl in der Hoffnung, irgendwann würde sich für den heimtückischen Anschlag, der tiefe Betroffenheit in der Republik ausgelöst hatte, eine andere Erklärung finden.

Niemand anderer als Jörg Haider begann die Geschichte von Oberwart umzuschreiben: "Wer sagt, daß es da nicht um einen Konflikt bei einem Waffengeschäft, einem Autoschieber-Deal oder um Drogen gegangen ist?" spekulierte der F-Obmann schon vor drei Wochen in seinem Parteiblatt "Kärntner Nachrichten". Die Provokation war perfekt: Haiders Aussagen wurden von Regierungsparteien und Opposition einhellig verurteilt.

Haider dachte laut nach: Merkwürdig sei es doch immerhin, daß die vier Roma mitten in der Nacht plötzlich ohne Grund das Wirtshaus verlassen hätten. Vielleicht habe man jemanden treffen wollen? Vergangene Woche wiederholte der F-Obmann seine Version im "Standard" unter Berufung auf "wesentliche Kräfte der Staatspolizei".

Tatsächlich geistert Haiders Theorie schon seit einigen Monaten durch die Briefbomben-Sonderkommission. Seltsam ist bloß: Jeder kennt die Theorie, aber niemand weiß, woher sie eigentlich stammt und auf welchen Fakten sie angeblich beruhen soll. Dafür wird das Gerücht bar aller Indizien seit längerem an Journalisten weitererzählt. Erst vergangene Woche, da hatten einige Zeitungen die Version schon breitgetreten, nahm das Innenministerium offiziell Stellung und wies Haiders Behauptungen zurück.

Fest steht: Die "Bajuwarische Befreiungsarmee" ist auch für das Attentat von Oberwart verantwortlich. Haiders Theorie von der Roma-Fehde steht zu allen bekannten Tatsachen im Widerspruch. Richtig ist an Haiders Behauptungen im Kern bloß, daß einige der in Oberwart lebenden Roma verschiedener krimineller Aktivitäten verdächtigt werden.

Der F-Obmann unterschlägt das Faktum, daß 35 Stunden nach dem Anschlag von Oberwart auch in der wenige Kilometer entfernten burgenländisch kroatischen Gemeinde Stinatz eine Bombe detonierte, die offenbar fast zeitgleich mit der Oberwarter Sprengfalle hinterlegt worden war. Der Sprengsatz war als umherstehende Spraydose getarnt und zerfetzte einem Mitarbeiter der Müllabfuhr die Hand.

In einem kurz vor dem Attentat gefundenen Bekennerschreiben übernahm der BBA-Kampftrupp "Friedrich II. der Streitbare, Herzog von Österreich, Steiermark und Vierburgenland" die Verantwortung. Der Kernsatz des Schreibens, gerichtet an die burgenländischen Kroaten, lautete: "Clans der Schifkowits, Grandits, Stoisits, Resetarits und Janisch: Zurück nach Dalmatien." Jenes Metallschild, das die Roma von Oberwart in die Sprengfalle lockte, trug die analoge Aufschrift: "Roma zurück nach Indien". Damit ist jedenfalls der Zusammenhang zwischen den beiden Anschlägen bewiesen: Die Stinatzer Bombe war aber nicht für Roma, sondern eben für die burgenländischen Kroaten bestimmt.

Roma zurueck nach Indien


Haider verschweigt auch, daß parallel zur Hinterlegung der Oberwarter und Stinatzer Bombe ein neunseitiges Schreiben der BBA an die Rechtsanwälte der Briefbomben-Angeklagten Peter Binder und Franz Radl sowie an den ÖVP-Politiker Michael Graff geschickt wurde, in dem die Terroristen die Verantwortung für die erste Briefbombenserie, den Klagenfurter Rohrbombenanschlag vom August und für die zweite Briefbombenserie vom Oktober 1994 übernehmen. Die Authentizität dieses Schreibens gilt als gesichert. Nach dem gleichen Muster gingen die Terroristen auch bei ihren früheren Attentaten vor: Zeitgleich mit der Versendung der vier Briefbomben Anfang Oktober 1994 schickten sie das Bekennerschreiben zum Klagenfurter Anschlag vom August und zur ersten Briefbombenserie ab.

Haider erwähnt nicht, daß sich die BBA bisher zwar nicht zum Oberwarteranschlag bekannt, ihre Verantwortung für den vierfachen Mord aber auch in keiner Weise abgestritten hat.

Schließlich bestehen bestimmte, hochsignifikante Ähnlichkeiten in der Konstruktion der Oberwarter Rohrbombe mit jener von Klagenfurt.

Aber warum will Jörg Haider die BBA im Fall Oberwart entlasten? Aus welchen trüben Quellen Stammt die Theorie, daß der vierfache Roma-Mord vielleicht doch nichts mit den übrigen Briefbomben- und Rohrbombenanschlägen zu tun habe? Und wer flüstert Journalisten seit rund drei Monaten eine haltlose Theorie ohne jegliches Fundament ein?

Schon nach der ersten Briefbombenserie vom Dezember 1993 hatte die FPÖ eine eigentÜmliche Hypothese zu den möglichen Hintergründen der Anschläge vertreten: Man vermute eine "Verstrickung ausländischer Geheimdienste", ließ etwa der damalige FPÖ-Generalsekretär Herbert Scheibner wissen.

Schon wenige Tage nach den Anschlägen wurde eine Hypothese lanciert, die Haider dann in einem Profil-Interview kurz nach Oberwart nochmals aufwärmte: die Zusammenenarbeit von Rechtsextremisten mit Nachrichtendiensten aus dem ehemaligen Jugoslawien. Scheinbar gestützt wurde die These durch das Faktum, daß die Opfer der ersten Briefbombenserie - Von Wiens Burgermeister Helmut Zilk über die "Fremde Heimat"-Moderatorin Silvana Meixner bis zu dem Artikel-VII-Vereinsobmann Wolfgang Gombocz - gegen serbische Interessen tätig gewesen seien.

In bemerkenswertem Gleichklang mit der Meinungsbildung in der FPÖ belieferte nach der ersten Briefbombenserie der Geheimdienst des Österreichischen Bundesheers, das Heeresnachrichtenamt (HNaA), die ermittelnde Staatspolizei mit Hinweisen auf mögliche Täter aus dem ehemaligen Jugoslawien. Bruchstücke aus der Fernmeldeaufklärung am Balkan sollten damals die Verstrickung eines serbischen Nachrichtendienstes in die österreichischen Briefbombenattentate beweisen.

Heraus kam nichts, außer daß einige ranghohe Staatspolizisten bis heute der Theorie einer "Destabilisierung" durch exjugoslawische Geheimdienste anhängen.

Aber woher bezog die F-Bewegung immer wieder ihre Informationen und Theorien zu den Briefbomben-Anschlägen? Besteht eine direkte Achse zwischen Haider und dem militärischen Geheimdienst der Republik?

Haiders Mann für die Sicherheitspolitik Wolfgang Jung, ist im Hauptberuf Brigadier und stellvertretender Leiter der Auswertungsabteilung im HNaA. Ober den Schreibtisch des ranghohen Offiziers wandern die heikelsten Verschlußsachen der Republik. Eine in westlichen Demokratien einzigartige Personalunion.

Für die F-Bewegung leitet er zur Zeit einen sicherheitspolitischen Arbeitskreis, der unter anderem die Zusammenlegung von Innen- und Verteidigungsministerium konzipieren soll. Schon Wochen bevor Haider mit seinen Roma-Ideen an die Öffentlichkeit ging, vertrat der Geheimdienstoffizier die gleiche Theorie.

Profil (Wien), Nr. 34, 21.8.1995


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